Wald und Holz, April 2023

Lindner Suisse Manufaktur ist erfolgreich auf dem Holzweg

Die 1920 gegründete «Lindner Suisse» in Wattwil hielt mit ständigen Neuentwicklungen als einzige Holzwollenmanufaktur der Konkurrenz des Kunststoffs stand. Ein Holzwollenvlies mit Cellulose-Regenerationsfäden aus Buchenholz ist die neuste Errungenschaft.

 „Das 100- jährige Jubiläum, zu dem rund 500 Personen aus 25 Länder gekommen wären, mussten wir vor zwei Jahren wegen der Corona-Pandemie absagen“, sagt Thomas Wildberger, Geschäftsführer der «Lindner Suisse» Holzwollenmanufaktur in Wattwil. Karl Georg Lindner begann im Jahr 1920 in Lichtensteig mit der Produktion von Holzwolle, die er als Verpackungs- und Stopfmaterial verkaufte und rund 20 Jahre später stieg sein Sohn Karl Friedrich in das Unternehmen ein. Nach den schwierigen Kriegsjahren florierte das Geschäft Anfang der 1950-er Jahre insbesondere durch die «Euterwolle», die für die Euterhygiene entwickelt wurde. Um eine Vervierfachung der Produktionskapazität zu erreichen, wurde 1956 in Wattwil eine Sägerei gekauft und der Standort verlegt. Durch den maschinellen Einsatz konnten damals bei der Holzwolle schon die kurzen Fasern und der Staub ausgeschieden werden, wodurch man der Konkurrenz einen entscheidenden Schritt voraus war. Im Jahr 1962 entwickelte Lindner zudem ein spezielles Messersystem, mit dem die Holzfäden heute noch auf fünf hundertstel Millimeter genau in einer Dicke von 0,1 bis 0,25 mm und einer Breite von 1,3 bis 8 mm produziert werden. Mit dem Aufkommen der Kunststoffindustrie änderte sich die Situation jedoch rasant und von den 25 Schweizer Holzwollenfabriken musste eine nach der anderen schliessen. Die Firma Lindner setzte stattdessen auf Innovation und erweiterte das Angebot fortlaufend mit besonderen Produktideen wie «Erdbeerwolle», Mondholz - Wellnesskissen oder Stopfmaterial für «Steiff» Teddybären oder den «Züri-Böög». Nach dem Tod von Karl Friedrich Lindner im Jahr 1966 übernahm der Schwiegersohn Heinz Wildhaber den Betrieb und 1996 kam Thomas Wildberger, der das Unternehmen im Jahr 2014 übernahm. Weil die Fläche für Lager und Produktion wie in den 1950-er Jahren wiederum nicht mehr ausreichte, wurde vor fünf Jahren eine grosse Lagerhalle gebaut. Am einzigen Standort in Wattwil sind 12 Festangestellte, etwa 20 Menschen mit Beeinträchtigungen und nach Bedarf einige Freelancer angestellt.

Solide Zusammenarbeit mit der Forstwirtschaft
Der Holzeinkäufer und Produktionsleiter Pascal Wäspi kauft jedes Jahr vom Winterschlag rund 2000 m³ durchforstetes Holz mit einem Durchmesser von 16 bis 38 Zentimeter. „Ich bezahle für das Holz etwas mehr wie die Sägereien“, sagt Wäspi. Im Umkreis von rund 60 Kilometer Luftlinie hat er etwa 40 alternierenden Lieferanten. Er kann allerdings nur B- und C- Qualitäten brauchen, wobei er am liebsten Holz ohne Rinde und Äste hätte, die zudem nicht verdreht sind. Neben Fichten, Lärchen, Föhren, Buchen, Eichen, Eschen und Ahorn werden auch ein paar Exoten verarbeitet. Arve und Wildkirsche braucht er beispielsweise für die Mondholzkissen. Das Holz weist durch den Klimawandel sehr unterschiedliche Qualitäten auf. Der Holzeinkauf im Kanton Schaffhausen musste aufgegeben werden, weil die Bäume dort zu schnell wachsen. „Zwischen den Jahresringen gibt es bis zu einem halben Zentimeter Abstand, da habe ich nur Staub, wenn wir das Holz hobeln“, sagt Wildberger. Das von einer mobilen Schälmaschine entrindete Holz wird auf dem 3000 m³ fassenden Firmenareal 18 bis 22 Monate gelagert und luftgetrocknet. Dabei reduziert sich das Gewicht von knapp einer Tonne pro Kubikmeter auf etwa 340 Kilogramm und die Holzfeuchte geht auf 13 % zurück. Weil die Holzmenge zu gering ist, um alles voll zu automatisieren, werden für den Holzzuschnitt in den Wintermonaten erfahrene Bergbauern aus der Region einige Wochen beschäftigt.
Produktion erfolgt mit Gerätschaften aus den 1960-er Jahren
Im Werk werden 180 verschiedene Holzwollen hergestellt. In 25 unterschiedlichen Branchen
wird sie für die Tierhygiene, zur Lagerung von Lebensmitteln, als Verpackungsmaterial und zunehmend als nachhaltige Alternative im Landschafts-, Strassen- und Gartenbau eingesetzt. In der Produktion werden die Meterrügel zuerst mit einer Kappsäge auf 50 Zentimeter getrennt und je nach Einsatzbereich selektioniert. Für jeden Anwendungszweck gibt es spezielle Mischungsrezepturen, die allerdings als Betriebsgeheimnis gehütet werden. Die Herstellung erfolgt in zwei Produktionslinien mit jeweils vier Zerspanungsmaschinen, die jeweils von einem Mitarbeiter bedient werden. „Die Gerätschaften sind aus den 1960-er Jahren und werden immer wieder revidiert, weil es keine besseren gibt“, betont Wildberger. Um eine optimale Präzision zu gewährleisten, werden die Hobelmesser alle vier Stunden nachgeschliffen. Die abgehobelten Holzfäden fallen in einen Behälter und werden pneumatisch durch ein Rohr in eine Kammer geblasen, wo sie entstaubt und gereinigt werden. Dadurch behält die Holzwolle ihre holzeigene Farbe und hat ein deutlich grösseres Volumen. In der Produktion wird fast alles verwertet. Aus der Rinde entsteht Rindenmulch, aus den kleinsten Reststücken Anzündhilfen und das Sägemehl wird von Landwirten als Nistmaterial und Einstreu abgeholt.

Vielfältiger Einsatz im Wald und der Forstwirtschaft
Im Forst werden zunehmend spezielle Wuchshüllen aus Weiden und Hanf zum Schutz vor Wildverbiss und Verfegen verwendet. Sie gewährleisten ein besseres Pflanzenwachstum und verursachen keine Kosten für Rückbau und Entsorgung. Für Begrünung, sowie Boden- und Erosionsschutz werden auch spezielle Faschinen und Erosionschutzvliese hergestellt, die einen einwandfreien Bewuchs garantieren und rückstandsfrei verrotten. „Das neuste Produkt ist noch in der Entwicklung“, verrät Wildberger. Für die Grundnetze der Holzwollenmatten, für die in Europa überwiegend Kunststoffe eingesetzt werden, verwendet Lindner bereits seit fünf Jahren Jutefäden aus Ostasien. Um die Flexibilität der Produktion weiter zu erhöhen und die Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen abzubauen, sollen das zur Einbettung der Holzwolle eingesetzte Jutegewebe künftig selbst produziert werden. Als Dreher- und Steherfäden sollen Zwirne aus Cellulose-Regenerationsfäden dienen, die vorwiegend aus Buchenholz gewonnen werden und biologisch abbaubar sind. „Das neue Produkt für den Erosionsschutz kann in der Nachhaltigkeit nicht mehr getoppt werden“, sagt der Geschäftsführer und Tüftler Thomas Wildberger, der den gesamten Holzwollenbedarf in der Schweiz decken könnte und stattdessen etwa vierzig Prozent ins Ausland exportieren muss.

 
 
 
 

 

 

Thomas Wildberger kann sich mit der „Lindner Suisse“ als einzige Holzwollenmanufaktur der Schweiz behaupten. 

Andelfinger Zeitun: 25. März 2022

Der noch unerfüllte Traum vom ewigen Leben

In Rafz baut die »European Biostasis Foundation«(EBF) im neuen Industriepark neben dem Bahnhof für rund drei Millionen Franken die erste Kryonikanlage Europas. Die Forschungsstiftung EBF wurde 2019 vom Basler Neurobiologen Patrick Burgermeister mit weiteren fünf Personen gegründet. Burgermeister hat Wirtschaft und Molekularbiologie studiert und bezeichnet sich als wissenschaftlich getriebener Optimist. Die EBF widmet sich der weltweiten Forschung in den Bereichen Biostase, Kryobiologie und Biokonservierung. Biostasis ist ein biomedizinisches Verfahren, das Spitzentechnologie verwendet, um Gewebe für Jahrzehnte oder Jahrhunderte vor dem Abbau zu erhalten und zu schützen. Diese Methode wird bereits bei Eizellen und Spermien angewendet.

Forschung im Grenzgebiet

Der Tätigkeitsschwerpunkt in Rafz liegt in der Verbesserung der Biokonservierung von Zellen, Gewebe und Organmaterial, wodurch Transplantations-Organe länger haltbar gemacht werden können. Um Gewebeschäden zu vermeiden, erfolgt die Konservierung mit gekühlten Aufbewahrungsmethoden und speziellen Flüssigkeiten. In Rafz werden auch Zellen, Gewebe und Organe gelagert, die zu Lebzeiten von Personen zu Forschungszwecken gespendet wurden. Einen kompletten Körper wie Spenderorgane in der Transplantationsmedizin durch Abkühlung eine längere Zeit vor dem Verfall zu schützen, ist bisher noch nichtgelungen. Nach dem Tod eines Menschen finden Verfallprozesse statt, die noch nicht rückgängig gemacht werden können. Beim Auftauen von grösseren Organismen lässt es sich auch noch nicht vermeiden, dass kritische Temperaturen überschritten werden, die beispielsweise zur Denaturierung von Eiweiss führen. Zudem kann beim Auftauen das Gewebe aufgrund der Sauerstoffunterversorgung absterben. Deshalb wird die EBF menschliche Körper in speziellen Kryobehälter lagern, die mit flüssigem Stickstoff gefüllt sind. »Es ist noch nicht genau absehbar, wann diese Dienstleistung genutzt werden kann«, sagte Patrick Burgermeister auf Anfrage der Andelfinger Zeitung. Um darauf vorbereitet zu sein, wird vorab wohl ein einzelner »Drawer» (Kühlbehälter) im Untergeschoss des Neubaus aufgestellt werden. »Die technischen und wissenschaftlichen Hürden für die Biostase sind enorm, daher glaube ich, dass es trotz dem beschleunigenden Fortschritt noch über 50 Jahre gehen wird, bis man an ein Zurückholen denken kann«, sagte Burgermeister. Die EBF ist offen für alle Nationalitäten und eine Lagerung kostet zwischen 200´000 und 300´000 Franken. Burgermeister empfiehlt diesen Betrag frühzeitig über eine Risiko-Lebensversicherung abzudecken. In Deutschland sieht das Friedhofsgesetz allerdings eine Bestattungspflicht vor. „Eine Körperspende zur Forschungszwecken ist auch in Deutschland möglich, doch vermutlich die Lagerung nicht“, sagte Burgermeister.

Blut wird durch Frostschutz ersetzt
In den USA und Russland haben sich bereits etwa 400 Personen einfrieren und aufbewahren lassen. „Es wurden jüngst auch Institute in Australien und China lanciert“, sagte Burgermeister. Bei der Kryonik-Konservierung wird nach dem Tod eines Menschen der Stoffwechsel möglichst schonend komplett angehalten, um den Körper vor dem Zerfallsprozess zu schützen, damit er irgendwann einmal mit neuen medizinischen Möglichkeiten wieder zum Leben erweckt werden kann. Die erste Kryokonservierung eines Menschen erfolgte 1967 bei James Bedford, der in der Alcor Life Extension Foundation im US Bundesstaat Arizona gelagert wird . Die EBF arbeitet eng mit der deutschen Firma Tomorrow Biostasis zusammen, die in Europa Kryokonservierungen durchführt. Sobald ein Mensch klinisch tot ist, wird der Körper schrittweise auf eine Temperatur auf Minus 196 Grad Celsius heruntergekühlt. Zuvor wird bereits im Krankenhaus oder einer Ambulanz von einem Stand by-Team das Blut entzogen und eine mit Frostschutz vergleichbare Infusion in die Arterien geleitet, damit sich beim Einfrieren keine zellschädigende Eiskristalle bilden. Der eingefrorene Körper wird dann in einem Tank mit flüssigem Stickstoff gelagert, wodurch der Verwesungsprozess unterbrochen wird. Für Burgermeister ist die Kyronik-Konservierung eine experimentelle medizinische Methode, eine Art »Ambulanz in die Zukunft«, die durchaus eine Alternative zu Erdbestattung und Einäscherung sein kann. «Religionen geben mir nicht den Trost, den andere darin finden», sagte Burgermeister, der die Biostase aber nicht als Konkurrenz dazu sieht. »Die Menschen werden weiterhin sterben, aber mit der Biostase hat man eine zugegebenermassen kleine Chance auf eine zweite Zeit auf Erden«, sagte Burgermeister.

Forschungsgebäude ist fast fertig
Die EBF Stiftung, die weltweit Forschungsprojekte leitet und koordiniert, hat den Standort Rafz aufgrund der Nähe zu anderen Forschungsinstituten in Zürich, Basel und Tübingen gewählt. Der Rafzer Gemeinderat hat am 27. Oktober 2020 die Bewilligung für das neue Forschungsgebäude mit einer Nutzfläche von 630 Quadratmeter erteilt. Vorgängig hat das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft das Bauvorhaben hinsichtlich der biologischen Sicherheit überprüft und festgestellt, dass keine Hindernisse im Weg stehen. Das Gebäude wird vom Rafzer Generalunternehmen Schmidli Architekten + Partner mit überwiegend regionalen Handwerksbetrieben realisiert. Im oberirdischen Teil werden Büros, medizinische Einrichtungen und Laborräume untergebracht. Tiefgekühlte menschliche Körper und Körperteile werden unterirdisch aufbewahrt. Zudem gibt es eine Fahrzeuggarage, Abstellraum und Lobby. Der Bau ist soweit fortgeschritten, dass der Gartenbauer schon mit den Umgebungsarbeiten beginnen konnte. Im Rafzer Forschungslabor sollen mittelfristig bis zu 10 Arbeitsplätze in den Bereichen Forschung und Administration entstehen. «Die gemeinnützige und nicht gewinnorientierte Stiftung ist steuerbefreit«, sagte der Gemeindeschreiber Manfred Hohl.

 

 

Im neuen Rafzer Industriegebiet wurde die erste Kryonikanlage Europas gebaut. Zukünftig sollen dort menschliche Körper eingelagert werden, bis sie in nicht absehbarer Zeit wieder zum Leben erweckt werden können.

Badische Bauernzeitung, 13. Februar 2021

Abenteuerland im Hühnerstall

Hof Russ hat innovativen Legehennenstall in Betrieb genommen

 

„Ich mache mir über unseren Hühnerstall zehnmal soviel Gedanken wie über unsere eigene Stube“, sagte Michaela Russ. Als die Käfighaltung für Legehennen verboten wurde, hatte der Hof Russ für die Hühner bereits eine einfache Stallhaltung. Im Jahr 1994 ist der landwirtschaftliche Betrieb mit einer Bodenhaltung in die Eiererzeugung eingestiegen, die sukzessive auf 2300 Legehennen erweitert wurde. Im letzten Jahr stellte sich nach 25 Jahren die Frage: Grundsanierung vom alten Hühnerstall oder Neubau. Weil bei einem Umbau die Hühnerhaltung etwa ein Jahr still gestanden wäre, entschied sich die Familie Russ für den Neubau. Der alte Stall wird voraussichtlich abgebrochen und der Platz für die Qualivo Kälberaufzucht genutzt.   

Der neue Hühnerstall „Bodenhaltung Plus“

Im letzten Sommer wurde ein neues Betriebsgebäude gebaut, in dem die Legehennen in drei Ställen völlig voneinander getrennt aufgestallt sind. Ein einziger großer Stall hätte den Vorteil, dass man nur eine Lüftungs- und Futtertechnik bräuchte. Dass bei einer Neueinstallung aber junge und alte Hennen nie voneinander getrennt wären, wäre bezüglich Tiergesundheit ein erheblicher Nachteil. „Drei getrennte Ställe mit einer Belegung von jeweils 1400 Tieren sind einfach auch hygienischer“, sagte Russ. Im Oktober ist die erste Herde bereits eingezogen und im Januar wurde der zweite Stall mit 17 Wochen alten Junghennen belegt. Würde man die Hühner erst im Legealter von 22 Wochen kaufen, würden sich die Tiere nicht gut zurechtfinden. Die eineinhalb Kilo schweren Hennen dürfen sich erst eingewöhnen und vor der Legereife auch noch an Körpergewicht zunehmen. Die dritte Herde wird im Sommer den dritten Stall beziehen, damit Russ als Direktvermarkter ganzjährig die Kunden versorgen kann. Je älter die Hühner werden, umso grösser werden ihre Eier. Wenn die Mauser beginnt, geht die Energie in die Federn statt in die Eierschalen, die dadurch dünner und teilweise schrumpelig wird. „Dann fressen die Hühner teilweise auch ihre Eier, das geht hygienisch gar nicht“, sagt Russ, die ihre Hennen nach etwa 14 Monaten in den Schlachthof gibt, wo sie für Suppenhühner und Tiernahrung verarbeitet werden.

Innovative Haltungsform
Die drei Herden mit rund 4000 Legehennen leben in einem Nestsystem mit unterschiedlichen Ebenen, das durch eine Baumstruktur der natürlichen Umgebung der Hühner angepasst ist. Die Tiere haben zwischen Nahrungsaufnahme, dem Eierlegen und der Beschäftigung eine artgerechte Bewegungsfreiheit. Die drei Stallungen sind jeweils mit einem Lüftungssystem ausgestattet, das alte Luft abzieht und Frischluft zuführt. Obwohl für die Bodenhaltung kein Freilauf vorgeschrieben ist, wurde jeder Stall mit einem vor Räuber, Wetter- und Krankheitseinflüssen geschützten Wintergarten ausgestattet, von dem die Hühner jederzeit in einen vollständig eingezäunten Schönwetterauslauf gehen können. Weil der Aussenklimabereich betoniert und mit Sand, Holzspänen und Hackschnitzel belegt ist, hat er keinen Einfluss auf die Bodenbelastung. Das Boden- und Beschäftigungsmaterial wird kompostiert. Wasser, das ansonsten abfließt und versickert, wird aufgefangen und wie der abgesonderte Hühnerkot der Energiegewinnung zugeführt. „Hühnermist bringt richtig Dampf“, betonte die Bäuerin. Zudem ist auf dem Dach eine 134 KW Photovoltaikanlage installiert, die den Strom im Hühnerstall CO² neutral abdeckt und überschüssige elektrische Energie ins Netz einspeist. Im Elektronikbereich wird neben den Energiedaten auch der Verbrauch vom Futter dokumentiert.

Geflügelpest ist bereits am Bodensee
Etwas Sorgen bereiten den Geflügelhalter die Vogelgrippe, die an der Nordsee wütet und sich bereits bis an den Bodensee ausgeweitet hat. Bei einem Ausbruch der Seuche im direkten Umfeld müsste der Ein- und Verkauf auf dem Hof eingestellt werden. Das hieße, keine Junghennen kämen auf den Hof und die alten Hennen nicht in die Schlachtung. Bei einem Ausbruch im Hof selbst, würden alle Tiere gekeult. Die Tierseuchenkasse würde zwar ein Teil vom Verlust abdecken, doch der moralische Schaden und die wirtschaftlichen Folgen wären fatal. Im Landkreis Waldshut gibt es bisher noch keine Einschränkungen, wie sie bereits im schweizer Nachbarkanton Schaffhausen erlassen wurden. Der Hof Russ hat vorbeugende Massnahmen getroffen und ist für den Ernstfall vorbereitet. Der Aussenklimabereich kann mit Jalousien vogeldicht gemacht werden und der mit Gittern geschützte Auslauf mit zusätzlichen Abdeckungen geschützt werden. „Eine völlige Sicherheit gibt es aber nicht“, betonte Michaela Russ. 

Gesunde Hühner bringen gute Eier
Die erfahrene Geflügelhalterin bemerkte, dass nicht die frische Luft alleine, sondern gesunde Tiere, hochwertiges Futter, Haltung und Hygiene die Faktoren für eine gute Eierqualität sind. „Den Hühnern hat man früher Getreidekörner hingeworfen und geglaubt das sei gut“, erinnert sich die gebürtige Schwarzwälderin, die heute eine gentechnikfreie Mischung aus Weizen, Mais, Muschelkalk, Mineralstoffen und Sojaschrot verfüttert. Obwohl die Legeleistung von weißen Hühnern etwas höher ist, hat sie sich für braune Hybriden entschieden, die im Charakter etwas gemütlicher sind. Der Hof Russ hat sich mit dem Neubau bewusst für die ausgebaute „Bodenhaltung Plus“ entschieden. Hühner kommen von Natur aus mit der Kälte nicht so gut klar und mögen auch die Hitze nicht. „Unsere Hühner sind in den komfortablen Stallungen bestens versorgt“, sagte Russ. Der Stall ist an das Fernwärmenetz der Biogasanlage angebunden und auch im Winter 15 Grad warm. Dadurch haben die Tiere auch eine trockene und saubere Einstreu. Wenn es kalt ist, halten sich die Hennen nur wenig im Freilaufgelände auf. Am Liebsten sind sie im Wintergarten, der auf die Bedürfnisse des Geflügels angepasst wurde und das natürliche Verhalten der ursprünglichen Buschtiere unterstützt. „Wir ergänzen die Normen durch eigene Erfahrungen, die uns gut für die Hühner erscheinen“, sagte Michaela Russ, die den Aussenklimabereich mit allerhand Beschäftigungsmaterial ausgestattet hat. Die Hühner picken aus einem Netz Heu heraus, pudern sich im Kalkbad mit Gesteinsmehl selbst gegen Milben ein, kratzen im Sandkasten und wetzen an den Picksteinen die Schnäbel. Für Überraschungseffekte sorgt ein aufgehängtes Fässchen, aus dem in verschiedenen Zeitintervallen Körner ausgestreut werden. Das Geflügel kann sich auch selbst mit kleinen Steinchen und Mineralstoffen versorgen, die für die Verdauung benötigt werden. Im Schönwetterauslauf wurden aktuell alte Christbäume zu Kletterbäumen umfunktioniert.

Der Erfolg bestätigt die Richtung
Die Eier gelangen über ein Förderband vom Stall automatisch in den Eierraum, werden legefrisch ab Hof verkauft und ausschließlich über regionale Lebensmittelmärkte und Bauernläden vermarktet. „Wir sind nun auch wieder in der Lage neue Wiederverkäufer in den Kundenstamm aufzunehmen“, sagte Michaela Russ. Sobald es wieder erlaubt ist, wird der neue Hühnerstall der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Familie Russ will den Besuchern nicht die scheinbare alte Bauernromantik vorgaukeln, die es nie wirklich gab, sondern auf realistische Weise ökologische und ökonomische Werte vermitteln. Auf dem offenen Hof wurde eine spezielle Zuschauertribüne eingerichtet, um Kunden und Besucher ohne unnötiges Betreten Einblicke in zwei Ställe und den Eier Raum zu ermöglichen. „Wir freuen uns immer über interessierte Kunden, Besucher, Schulen, Kindergärten“, sagte Russ, die das Verständnis für die landwirtschaftliche Lebensmittelentstehung fördern will. Die Familie bietet auch Hofführungen an, die mit einem Umtrunk im Qualivo Schulungsgebäude abgeschlossen werden kann. „Der anspruchsvolle Konsument will heute wissen, wer hinter dem Produkt steht, das er kauft“, betonte die Dietenberger Geflügelbäuerin.

 

 

Infokasten

Die Familie Russ hat in Lottstetten einen Hof mit rund 180 Hektar Land, das seit über zehn Jahren als Hybridlandwirtschaft bewirtschaftet wird. Mit rund 80 Bullen, 500 Kälber und 4000 Legehennen ist der Hof Russ sehr tierbezogen. Mit einer Biogas- und einer 500 KW Photovoltaikanlage werden Strom für 1250 Haushalte und Wärme für 100 Häuser produziert. Stefan Russ (31) ist landwirtschaftlicher Betriebsleiter und sein Vater Martin (57) Geschäftsführer der Qualivo Deutschland GmbH. Michaela Russ (55) ist für den Geflügelbereich zuständig und wird dabei von der Schwiegertochter Regina (29) unterstützt, die gelernte Steuerfachkraft ist und in den nächsten Tagen ihr drittes Kind erwartet. Der Lottstetter Vorzeigebetrieb hat zudem drei Festangestellte und einen Auszubildenden beschäftigt .

 








Michaela Russ ist auf dem Hof Russ für den Legehennen Bereich zuständig.

Junge Winzer übernehmen Gailinger Schlossreben

Südkurier, Ausgabe Singen, 17. November 2020

Wein von der Rheinburg soll aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden

Gailingen (thg) „So ein Angebot bekommt man nur einmal im Leben“, sind sich der Erzinger Winzer und Kellermeister Lorenz Keller und der Reichenauer Önologe Julian Moser einig. Der 42- jährige Lorenz Keller hat in Gailingen die zehn Hektar große Einzellage „Schloss Rheinburg“ gepachtet und Julian Moser mit ins Boot genommen. Der Rebberg wurde in den letzten 17 Jahren vom Prädikatsweingut Markgraf von Baden bewirtschaftet und zählt zu den besten Lagen im Bereich Bodensee. Die auf Sand geschichteten Moränenschotterböden sind in Verbindung mit dem günstigen Mikroklima prädestiniert für Burgundersorten. „Der Rebberg hat 35-jährige Rebstöcke mit den Sorten, die der Markt braucht“, sagte Keller. Der Spätburgunder wächst im sonnigen, nach Süden ausgerichteten Steilhang, auf eineinhalb Hektar steht eine der ältesten Sauvignon Blanc Anlagen Badens und neben Chardonnay, Weiss- und Grauburgunder wächst auch die Auxerrois Rebe, die am Bodensee noch ein Exote ist. Der 27- jährige Julian Moser wird den Weinbaubetrieb in Gailingen leiten. Moser bewirtschaftet auf der Insel Reichenau zudem einen 1,3 Hektar großen Rebberg, der sich in einer dreijährigen Umstellungsphase zum Bio Weingut befindet. Auf dem konventionellen Betrieb in Gailingen will er alles machen, was ökologisch sinnvoll ist. Keller setzt in Erzingen bereits auf mechanische Unterstockbearbeitung und organische Düngung. Der Wein wird im Weingut LCK in Erzingen ausgebaut, wofür Keller das Tanklager bereits auf 200´000 Liter verdoppelt hat. Für die gemeinsame Vermarktung der Gailinger Weine haben Keller und Moser die „Schloss Rheinburg Keller und Moser GmbH“ gegründet. Weil es bei der Villa Rheinburg seit Jahren keinen Weinverkauf mehr gibt, ist der Wein von Schloss Rheinburg etwas in den Dornröschenschlaf versunken. Das Weingut von Lorenz und Corina Keller hat im Juli im ehemaligen Verwaltungsgebäude bereits eine Vinothek eröffnet. Momentan gibt es dort noch „LCK“ Weine, doch später sollen die Weine von Schloss Rheinburg in den Fokus gestellt werden. Keller und Moser wollen Weine in drei Qualitäts- und Preisstufen ausbauen, wobei der Hektarertrag zwischen 5000 und 8000 Liter liegen sollte. Im ersten Jahr gab es eine sehr gute Qualität, aber durch den Frost etwa 40 Prozent weniger Ertrag. Im Frühling sollen die neuen Schloss Rheinburg Weine bei einer Jungweindegustation der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Bereits im 9. Jahrhundert wird der am Hochrhein weit verbreitete Weinbau urkundlich erwähnt. Die vier Kilometer lange rechtsrheinische Halde von Dörflingen bis Gailingen war als „Setzi“ bekannt und gehörte bis ins Jahr 1854 über 700 Jahre zum schweizer Städtchen Diessenhofen. Die Stadtgrenze verlief oberhalb des Rebbergs und reichte bis zur Gailinger Friedhofsmauer. Über Jahrhunderte besaßen Diessenhofer Stadtbürger und das Dominikanerinnenkloster St. Katharinental beträchtliche Rebflächen auf der rechtsrheinischen Seite. Nachdem Napoleon kriegerisch durch Europa gezogen war, verlegten die Schweizerische Eidgenossenschaft und das Grossherzogtum Baden 1854 die Landesgrenze in die Mitte des Rheins. Viele Diessenhofer Bürger besassen plötzlich Rebberge und Gemüsegärten in Deutschland. Nach der Säkularisierung und der Aufhebung des Klosters St. Katharinental im Jahr 1869 ging der Rebbau zurück. Die aus Amerika eingeschleppte Reblaus richtete in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den europäischen Rebbergen zudem immense Schäden an. Im ersten Weltkrieg wurden die Reben nochmals verwüstet und Anfang der 1920er Jahre schien die lange Tradition des Weinbaus in Gailingen zu Ende zu gehen. Im Jahr 1976 hatten Elke und Otmar Gross die westlich von Gailingen gelegene Rheinburg von Eleonore von Opel, einer Enkelin des Rüsselsheimer Automobilwerkgründers, gekauft. Ursprünglich wurde die Villa Rheinburg vom berühmten Züricher Architekt Leonhard Zeugheer für Arthur Rausch, Spross einer wohlhabenden Schaffhauser Handelsfirma, im Stil der Neo-Renaissance gebaut. Die Villa wechselte bis dahin sieben Mal den Besitzer und ist heute im Eigentum der Gross-Tochter Barbara Su-Floetemeyer. Mit viel Weitsicht hat die Familie Gross den Hang mit neuen Sorten wieder bestockt und die ehemalige Klostertrotte aus dem Jahr 1607 zum Konzert- und Versammlungsraum umgebaut. Mittlerweile sind in Gailingen wieder 25 Hektar mit Reben bestockt. Die Lage Ritterhalde wird von den Weingütern Zolg, WeinKeller.sh und dem Staatsweingut Meersburg bewirtschaftet.


 

 

 

 

 

 

 

Sie brennen für Schloss Rheinburg: Lorenz Keller (links) und Julian Moser.  Bild: Güntert

Ein Paradies für Mensch, Pflanzen und Tiere

Hochrhein Anzeiger, 9. Januar 2019

Beim Baltersweiler Sonnenberg sieht man von der Landstraße L 163 ein paar Steinpyramiden, die allerdings nicht vermuten lassen, was dahinter steckt. Alois Werne erklärte dort den Besuchern vom Aha-Erlebnis, als er zum ersten Mal mit Chiara, dem Hund seiner Freundin, durch die Streuobstwiesen zum Baltersweiler "Käpelle" Gassi ging. "Mir wurde dabei bewusst, wie schön doch unsere Natur ist, aber auch wie sie immer mehr zerstört wird", sagte Alois Werne, der bis dahin in der Freizeit alte Möbel restaurierte und auf seiner Harley durch die Gegend kurvte. Seither sind acht Jahre vergangen und der Lüftungstechniker, der inzwischen in der Schweiz lebt und arbeitet, hat bei seinem Elternhaus am Baltersweiler Sonnenberg einen über 3000 Quadratmeter großen Naturgarten angelegt. Seit dem letzten Jahr bietet er öffentliche Führungen an, Gruppenführungen sind nach Absprache ebenfalls möglich. Alois Werne führt die Besucher kostenlos über das Gelände, weil er die Leute überzeugen will, ihre Gärten ähnlich zu gestalten. Er wäre schon zufrieden, wenn jeder einen Quadratmeter Naturgarten anlegen würde. Durch die Monokulturen, den Wegfall von alten Bäumen und das Ausräumen der Landschaft fehlt den Tieren wichtiger Lebensraum. Für Werne ist es immer wider eine Freude, wenn er am 25 Quadratmeter großen und eineinhalb Meter tiefen Teich steht, wo sich Frösche, Molche, Lurche, Libellen, Schmetterlinge und allerhand Insekten tummeln. Innerhalb drei Jahren ist der Teich mit rund 30 verschiedenen Pflanzenarten zugewachsen und reinigt sich dadurch selbst. Fische wurden bewusst keine eingesetzt, da sie zu viele Insekten fressen würden. Werne betont, dass Insekten das erste Glied der Lebensmittelkette sind und insbesondere für Fledermäuse und Vögeln wichtige Nahrungsgrundlagen sind. Durch den Einsatz von Spritzmittel reduzierte sich der Insektenbestand bis zu 80 Prozent. Für die Wildbienen hat der 43- Jährige mit rund 100 Tonnen Abbruchsteine acht Steingärten angelegt und mit über 150 verschiedenen Wildblumen bepflanzt. Zudem wachsen in 30 alten Schweinetrögen weitere Wildblumen. Der Bauerngarten seiner Mutter Rosmarie ist ein weiterer Teil des großen Naturgartens. Nach alter Tradition pflanzt die rüstige Seniorin dort neben Nahrungsmittel auch Wildblumen und Kräuter für die Hausapotheke an. Da es insbesondere den Vögel zunehmend an Brutmöglichkeiten fehlt, hat Alois Werne auch noch 40 Nistkästen mit unterschiedlich großen Einfluglöcher gebaut und auf dem Gelände verteilt. Speziell sind die aus Holzbeton gefertigten Nistkugeln für den Zaunkönig, die Reihenhauskästen für den Spatz und der Nistkasten mit Seiteneingang für den Baumläufer. Weitere Nistmöglichkeiten gibt es im Totholz, das Werne bewusst stehen und liegen lässt. Zudem hat Werne weitere Nisthilfen gebaut, beispielsweise Wildbienen-Hotels, Hornissen-Nistkästen und eine Wieselburge für Hermelin und Mauswiesel. Manche der Bauten sind jedoch noch nicht bezogen. Alois Werne hofft, dass irgendwann einmal eine Hummelkönigin in einen speziellen Nistkasten einziehen wird. "Die Hummel ist das einzige Insekt, das Tomaten bestäuben kann", betonte er. Auch vom Igel wurde die Überwinterungshilfe nicht angenommen. Der Igel findet eben genügend Reisig- und Laubhaufen, in denen er einen gemütlichen Winterschlaf halten kann. Ganz wichtig sind für Alois Werne die Streuobstwiesen. Zum alten Bestand von 30 Hochstammbäumen hat er zehn neue Bäume gepflanzt. Obwohl er keine Zeit hat, das Obst selbst zu ernten und es gerne verschenken würde, wird er im nächsten Jahr die angrenzende Wiese seines Bruders pachten und 30 weitere Streuobstbäumen pflanzen. Der Naturgarten ist für den Junggesellen der perfekte Ausgleich für den Alltag, wofür er praktisch die gesamte Freizeit opfert. Seine einzigen Helfer sind ein schweizer Bergbauern-Einachser, ein 50 Jähriger 22 PS -Traktor und ein Balken - Motormäher, der auch schon über 20 Jahren alt ist. Mehr Infos gibt es unter www.naturgarten-zum-sonnenberg.de.

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Baltersweiler  Sonnenberg gibt es einen großen Naturgarten, den Alois Werne in den letzten acht Jahren bei seinem Elternhaus angelegt hat.

Benny fand seine Traumfrau bei "Bauer sucht Frau"

Hochrhein Anzeiger, 10. Januar 2018

In der RTL Kuppelshow "Bauer sucht Frau" hat Bernhard Morath aus Bergöschingen die Frau für´s Leben gefunden. Am ersten Weihnachtstag ist er mit dem Flieger nach Hannover geflogen und hat seine Nadine mit Sack und Pack auf seinen Hof an den Hochrhein geholt. In diesem Jahr sollen noch die Hochzeitsglocken läuten. "Benny Du brauchst eine Frau", an diese Worte eines befreundeten Paares kann sich der 42- jährige Junggeselle noch gut erinnern. Benny hatte nichts dagegen, dass sie ihn vor einem Jahr für die bekannte RTL Kuppelshow "Bauer sucht Frau" anmelden wollten, da der Baumaschinenmechaniker mit den drei Katzen und 20 Hühnern eigentlich gar kein richtiger Bauer ist. und für die Fernsehsendung wohl auch nicht in Frage käme. Obwohl der 15 Hektar große Nebenerwerbsbetrieb mit den 20 Rindviechern mittlerweile aufgegeben wurde und lediglich noch ein paar Streuobstwiesen und etwas Wald bewirtschaftet werden, schickte RTL eine Produktionsfirma auf den Hof, um einen Bewerbungsfilm zu drehen. Als an Pfingsten 16 solcher Trailer ausgestrahlt wurden, sah Nadine (42) aus Celle eher zufällig "Bauer sucht Frau". "Zuerst ist mir der alte Eicher "Tiger" Schlepper aufgefallen, dann Benny und dann fand ich auch noch seine Geschichte interessant", erinnert sich Nadine. Vor 13 Jahren hatte Benny einen Unfall mit seinem Quad und sein Leben stand auf Messers Schneide. Doch er kämpfte und fand auf einem langen Weg zurück ins Leben. "Auch ich habe gekämpft, für jedes Kilo das ich abgenommen habe", betonte Nadine. Da sie sich schon in ihrer Kindheit als nicht akzeptiert und wertlos vorkam, hatte sie letztendlich 165 Kilo angefressen, bevor sie nach insgesamt neun teilweise verhunzten Magen-Darm Operationen wieder 87 Kilogramm abgenommen hatte. Obwohl sich Nadine mitten in der Scheidung einer unglücklichen fünfjährigen kinderlosen Ehe befand, bewarb sie sich spontan bei "Bauer sucht Frau". RTL lud sie gleich zum Casting nach Berlin ein, und befand, dass sie kameratauglich ist. Benny hat indessen von der Produktionsfirma noch Bewerbungen von zwei weiteren Frauen bekommen. "Wie viel mir tatsächlich geschrieben haben, habe ich nie erfahren", bemerkte Benny. Auf dem Scheunenfest auf dem Rittergut Remeringhausen sahen sich Benny und Nadine zum ersten Mal und bei Beiden hatte sofort der Blitz eingeschlagen. Benny wollte die beiden anderen Bewerberinnen gar nicht mehr kennen lernen. Vom Scheunenfest kam Nadine dann direkt zehn Tage zu Benny auf den Hof. Für die Hofwoche hatte der Hobbybauer seinen Landwirtschaftsbetrieb noch etwas angepasst. Ein Freund hat ihm einen Eicher "König-Tiger" in die Scheune gestellt und Peter von Roth kam mit fünf Schafen aus Lauchringen angefahren, die neben dem Hof mühsam eingezäunt wurden. Als Benny seine Nadine mit dem Traktor am Bahnhof Erzingen abholte, waren bereits Kameramann, Tontechnikerin, Réalisateurin und Assistent von RTL zum Filmen dabei. Nadine fuhr Trecker, mähte mit der Motorsense den Hang ab und kochte mit gisela, der zukünftigen Schwiegermutter. RTL hatte allerdings kein allzu großes Interesse am Hofleben und hat bis auf den Hühnerstall nicht viel vom Hof gezeigt und die Romanze in den Fokus gestellt. "Die ganze Arbeit war für die Katz", wetterte Benny, der mit seiner Nadine jedoch trotz laufenden Kameras sehr viel Spaß hatte. Beim zweiten Scheunenfest auf dem Schloss Diedersdorf bei Berlin wurden dann Freundschaftsringe ausgetauscht und für die Weihnachtssendung hat Benny in seiner Scheune Nadine einen Hochzeitsantrag gestellt. Nadine hat unter echten Freudentränen Ja gesagt. Nadine findet es schade, dass es immer noch Leute gibt, die diese Sendung nicht anschauen, weil sie denken, dass alles nach Drehbuch abläuft. "Das ist absolut nicht wahr, die Teilnehmer werden so gezeigt, wie sie im wirklichen Leben auch sind", betonte Nadine. Ihr Familien- und Freundeskreis hätte nie gedacht, dass sie einmal von ihnen wegziehen wird. Die eingefleischte Niedersächsin wurde gewarnt, dass er sehr schwer werden wird, bei den als verschlossen geltenden Südschwarzwälder Fuß zu fassen. Nadine findet die Leute am Hochrhein jedoch sehr offen und herzlich. "Mir wurde es von Anfang an so brutal einfach gemacht", betonte die sympathische Flachländerin. Bennys Schwester Doris findet es trotzdem sehr mutig, dass Nadine alles aufgegeben hat und nach so kurzer Zeit an den Hochrhein gezogen ist. Nadine ist eigentlich seit jeher auf Sicherheit bedacht, sie weiß aber auch, dass man gewisse Entscheidungen aus dem Bauch heraus fällen muss. "Wenn es in die Binsen geht, holen mich meine Freunde zurück", bemerkte Nadine. Durch ihre besonderen Geschichten und Schicksale haben Benny und Nadine eine besondere Verbundenheit und eine andere Wertschätzung an das Leben. "Ich habe das erste Mal erlebt, dass ich geliebt werde", bemerkte Nadine, die keinen Hunger mehr nach Liebe verspürt. Sie hat bereits auch erfahren, dass auf dem Land andere Wertvorstellungen gelten als in der schnelllebigen Stadt. Durch die ständige Medienpräsenz hat sich das Leben für Benny und Nadine verändert. Sie werden regelmäßig beim Einkaufen angesprochen, mussten sich auf dem Weihnachtsmarkt ablichten lassen, wurden vom Landfrauenverein besucht und hatten bei einem Möbelhaus den ersten PR Auftritt. Nadine hat in den sozialen Medien über 1000 Freundschaftanfragen und gefühlte 300 Briefe bekommen. "Die Leute wollen an meiner Lebensgeschichte teilhaben und lachen und weinen mit mir", bemerkt Nadine. Sie wird am 1. Februar in Herdern eine Halbtagsstelle als Kindergärtnerin antreten und in diesem Jahr soll noch geheiratet werden. "Von der standesamtlichen Trauung wird niemand etwas erfahren, das wird unser Tag, den wir alleine mit der Familie feiern" ist sich das Paar einig. Bei der kirchliche Hochzeit werden dann wieder die laufenden Kameras dabei sein. Bereits im Februar kommt RTL zu Dreharbeiten auf den Hof, damit ihre Fans erfahren, wie es weitergeht.

 

 

 

 

 

 

 

Liebe im Hühnerstall: Benny und Nadine haben sehr viel Spass miteinander.

Die vermeintliche Ossinger Hexe kehrte zurück

Andelfinger Zeitung, 14. Februar 2017

Im Jahr 1574 wurde in Zürich die Ossinger Witwe Ursula Tachsenhauserin auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ihr wurde nicht nur vorgeworfen, mit Hilfe des Bösen Leute und Vieh erlahmt und umgebracht zu haben, sondern auch, dass sie Gott versagt hat und mit dem Teufel ein Bündnis geschlossen hat.                                 
Es waren aber nicht die Grausamkeiten, die der vermeintlichen Ossinger Hexe angetan wurden, die die rund 100 Besucher faszinierten und in den Bann zogen. "Es macht mich wütend, wenn ich höre, was dieser Frau alles angelastet wurde", sagte eine Frau in der ersten Reihe.
Der Forster Hans hat damals beispielsweise ausgesagt, dass sie eine Kuh derart geschlagen haben soll, dass sie erlahmt ist. Die Tachsenhauserin wurde immer wieder dafür verantwortlich gemacht, wenn Menschen oder Tiere im Dorf zu Schaden kamen.                                                                                         Geschichte mit offenen Fagen

 Der frühere Historiker Kurt Spiess aus Winterthur hat die Geschichte in Ossingen erzählt, wobei der 400 Jahre alte Herminenkeller dafür das passende Ambiente bot. Der Geschichteerzähler brauchte kein Bühnenbild und keine Requisiten. Er kam elegant gekleidet mit weissem Hemd und Gehrock. Obwohl Spiess die Geschichte sorgsam aufgearbeitet hat, blieben einige Fragen offen. "Was hätte ich wohl in jener Zeit gemacht, wenn ich Landvogt gewesen wäre und die Leute mir solche Sachen erzählt hätten", fragte Spiess. Zudem in einer Zeit von Armut und Hunger, wo der Teufel Realität und vieles unheimlich und unerklärlich war. Vom 15. bis 18. Jahrhundert gab es in der Schweiz bis zu 10´000 Hexenprozesse. Wenn eine Beschuldigte ihre Unschuld beharrte, wurde sie gepeinigt, und gefoltert bis sie gestanden hatte. Die Tachsenhauserin hat ihre Schuld allerdings ohne Peinigung zugegeben. "Aus grossem Neid, Feindschaft und Hass habe sie Menschen und Vieh im Auftrag des Teufels geschädigt", so die Angeklagte, die jedoch um Gnade bat, da sie sich mittlerweile vom Teufel abgewandt habe. "Wieso das Geständnis", fragte Kurt Spiess. Hatte die eingeschüchterte alte Frau Angst vor der Folter oder hat sie einfach nicht mehr "mögen" und war froh, wenn alles schnell vorbei war? Hat sie resigniert und nicht daran geglaubt, jemals wieder ins Dorf zurückkehren zu können, wo ihr die Menschen nur Verachtung und Misstrauen entgegenbrachten? "Vielleicht war es auch ein Pfarrer, der ihr erklärte, dass ihre Sünden mit dem Tod nicht erlassen sind und sie in der Hölle dafür büssen müsse. Auf dem Weg zur Vollstreckung des Urteils in Zürich sass die Tachsenhauserin ganz still im Armensünderzug und liess das Schicksal über sich ergehen. "Gibt es eine Schuld, die bleibt, haben die nachfolgenden Generationen von Ossingen oder der Zürcher Regierung noch Verantwortung zu tragen? "Vor 450 Jahren ist die Frau aus dem Dorf gejagt worden und heute ist sie wieder zurück gekehrt, damit schliesst sich der Kreis", war das Fazit von Kurt Spiess zum Schluss seiner einstündigen Geschichte, mit der er die Ossinger Zuhörer ganz besonders berührte. 

 

 

Der Winterthurer Historiker Kurt Spiess zog die Besucher im vollbesetzten Ossinger Herminenkeller in seinen Bann, als er von der Hexe Ursula Tachsenhauserin erzählte. Der Geschichtenerzähler überzeugte auch immer wieder durch seine eindrucksvolle Mimik.

Und immer wieder geht die Sonne auf

Bülacher Wochenspiegel, 9. März 2016

Am letzten Donnerstag eröffneten in Lottstetten die neuen Geschäftsräume der Bäckerei Jünger, aus der das Backcafé geworden ist. Die große Besucherzahl am Tag der offenen Tür spiegelte die Sympathien der Familie Jünger in der Gemeinde. Die Neueröffnung war für die Grossfamilie ein emotionaler Tag. Zu viel ist geschehen in den letzten drei Jahren. Am 19. April 2013 ist das rund 350 Jahre alte Gebäude mit der Bäckerei und dem Gasthaus "Linde" abgebrannt. Die Brandursache ist bis heute nicht geklärt. Heinz und Margret Jünger, die seit den 1960-er Jahren die Bäckerei führten, mussten sich eine neue Wohnung suchen. Ebenso Sohn Peter, der ebenfalls im abgebrannten Haus wohnte. Ein weiterer Schickschalschlag war der Tod von Margret Jünger im November desselben Jahres. Die Familie wusste nicht, wie es weitergehen sollte. "Wir sind heute noch traumatisiert", sagt Nadine Lörfing. "Die Familie war auf einmal nicht mehr da", sagt ihr Lebensgefährte Daniel Jünger, der das Leben in der Grossfamilie von Kindheit an gewohnt war. Das junge Paar ist froh, dass ihr heute vierjährige Sohn Fiete damals noch nicht viel mitbekommen hat. Karin Lörfing, die Grossmutter des kleinen Fiete, ist vom Münsterland nach Lottstetten gezogen, um der jungen Familie zu helfen.

Es musste weitergehen

Der Bäckereibetrieb lief weiter. Gebacken wurde in der Zweigstelle in Jestetten und die Lottstetter Kunden im Obsthof Henes mit Backwaren versorgt, bis in der Engelscheune neue Räumlichkeiten gefunden wurden. Peter Jünger, der in der Schweiz als Bäcker arbeitete, kam wieder zurück in den elterlichen Betrieb, den der Bäckermeister und Betriebswirt Daniel Jünger im Jahr 2014 offiziell übernommen hat. Nadine Lörfing ist für den Verkauf und die Büroarbeiten zuständig. Durch die grosse Hilfsbereitschaft im Dorf bekam die Familie Jünger wieder Mut, die Bäckerei neu aufzubauen. Dort, wo sie seit Generationen hingehört, in die Dorfmitte neben Kirche und Rathaus. Das Gebäude mit Bäckerei, Verkaufsraum, Tagescafé und fünf Wohnungen wurde in einer Bauzeit von eineinhalb Jahren realisiert. Für den gesundheitlich angeschlagenen Seniorchef Heinz Jünger gab es im Eingangsbereich des Tagescafés einen Ehrenplatz, damit er die Kundschaft auch künftig empfangen kann. Das neue Tagescafe soll zum zentralen Treffpunkt in der Ortsmitte werden. Es wurde bewusst ein Mehrgenerationenhaus gebaut, damit die Familie wieder zusammen kommt, denn Geschäft und Familie war bei Jüngers seit jeher schon eins. "Wir backen nach alter Tradition mit modernster Technik", sagt Daniel Jünger. Das Sonntagsbacken ist für die junge Familie zurzeit aber kein Thema. "Am siebten Tag sollst Du ruhen, stand schon in der Bibel", betont Daniel Jünger.

Die Lottstetter Linde gibt´s nicht mehr

Die Grundfläche der Wirtschaft "Linde" wurde in die Bäckerei integriert. Der ehemalige Lindenwirt Martin Schwarz bedauert, dass es im Neubau keine Wirtschaft mehr gibt. Gerne wäre er wieder nach Lottstetten zurückgekehrt. "Den typischen Charme der Linde mit den knarrenden Böden kann man nicht neu aufbauen", sagt Nadine Lörfing. Martin und Claudia Schwarz, die in Lottstetten acht Jahre lang die "Dorfbeiz" Linde geführt hatten, haben vor über einem Jahr das ehemaligen Tennis-Stüble in Jestetten übernommen. Claudia Schwarz vergisst den 19. April 2013 nicht mehr, als sie mit ihrem Mann bei ihren Eltern in Büsum im Urlaub war und  frühmorgens um sechs die Nachbarin aus Lottstetten auf den Anrufbeantworter sprach: "Es ist etwas schlimmes passiert, die Linde brennt". "Die Bäckerei Jünger war mitsamt der Linde abgebrannt, das Inventar war kaputt und wir standen vor dem geschäftlichen Nichts", erinnert sich Claudia Schwarz. Die einzige Einnahmequelle war von heute auf morgen der 400 Euro Nebenjob der Ehefrau, die der Zweigstelle der Bäckerei  arbeitete. "Wie geht es weiter", stand immer im Focus der Wirtsleute. Martin Schwarz mietet sich in der Engelscheune mit dem rückläufigen Partyservice ein, mit dem er bisher etwa 30 Prozent des Gesamtumsatzes generierte. Claudia Schwarz wurde von der Bäckerei Jünger als Vollzeitkraft übernommen, obwohl die Bäckerei keine Personalnot hatte. "Dafür sind wir heute noch dankbar", betont Martin Schwarz. Dann kam die Jestetter Bürgermeisterin Ira Sattler mit dem Angebot, die Mensa in der Schule an der Rheinschleife zu übernehmen. Das entsprach allerdings auch nur einem 400 Euro Job. Seit November 2014 haben Martin und Claudia Schwarz wieder ihre eigene Wirtschaft.  Das ehemalige Tennis-Stüble wurde allerdings in "Linde" umbenannt. "Der letzte Vorbesitzer nannte das Lokal "Burn Out". "Das wäre nicht passend zu dem gewesen, was wir in den letzten Jahren erlebt haben", findet Claudia Schwarz.

 

Das Ende einer Odyssee
Fast drei Jahre nach dem Brand der Lottstetter Bäckerei Jünger konnte das neue Produktions- und Betriebsgebäude mit Backcafé eröffnet werden. Stehend von links: Architekt Peter Schanz, Nadine Lörfing mit Daniel Jünger und Söhnchen Fiete, Christine und Peter Jünger, Karin Lörfing. Vorn der Seniorchef Heinz Jünger.

Edmund Henninger - Der Jestetter Krippenbauer

Südkurier, 12. Januar 2015

Die Jestetter Krippe gilt als eine der schönsten und größten in der Region und als Geheimtipp bei den Krippenliebhabern. "Die Besucher gehen sehr ehrfurchtsvoll mit der Krippe um, es wurde noch nie etwas beschädigt oder umgestellt", sagt Edmund Henninger, der seit über zehn Jahren für die Jestetter Krippe verantwortlich ist. Die liturgische Weihnachtszeit dauert im Kirchenjahr bis zum Fest der Taufe Jesu am Sonntag nach dem 6. Januar. Danach wird an den meisten Orten der Weihnachtsschmuck entfernt. Die Jestetter Krippe in der katholischen Pfarrkirche "Sankt Benedikt" bleibt jedoch noch bis zum 20. Januar stehen. Edmund Henninger war es, der vor fünf Jahren die neue Jestetter Krippe aufbaute. Als der damals neue Pfarrer Richard Dressel den Wunsch äußerte, die Krippe aus Platzgründen aus dem Altarraum zu entfernen, hatte Henninger die Idee, eine viel größere Krippe am seitlichen Kircheneingang aufzubauen. "Die Krippenfiguren waren für die alte kleine Krippe viel zu groß" erinnert sich Henninger. Über dem Heizungsschacht baute er ein vier auf vier Meter großes zusammensteckbares Podest, auf das er die Krippenlandschaft stellte. Im Wald suchte er einen Anhänger voll Eichenwurzeln und zwanzig Eimer Steine und baute zu der alten Krippe verschiedenen Grotten, zwei wassergefüllten Seen und einen vier Meter langen Wasserlauf. Dazu wurde eine Herde Schafe gekauft. "Jedes Jahr suche ich 15 Bananenschachteln frisches Moos", sagt Henninger, wobei bei ihm wehmütige Erinnerungen an seine vor zwei Jahren verstorbene Frau Juliane aufkommen. "Sie war immer dabei und hat mich unterstützt", sagt Henninger. Die Weihnachtszeit hatte eine tiefe Bedeutung in der Familie Henninger. "Es wurde viel gesungen und die eigene Krippe, die ich vor über 50 Jahre aus Baumwurzeln gemacht habe, stand immer im Mittelpunkt", erinnert sich der 77- Jährige. Auch heute, wo Henninger alleine lebt, baut er seine Krippe alljährlich zum ersten Advent wieder auf. Genau wie die Krippe in der Pfarrkirche. Die Krippe wird in jedem Jahr anders und ist einem genauen Ablauf unterstellt. Henninger geht alle paar Tage in die Kirche, um die Figuren zu verstellen. Bis acht Tage vor Weihnachten stellt die Krippe eine einfache Landschaft mit einem Stall im Zentrum dar. Dann werden Maria und Josef auf den Weg geschickt. Zur Christmette kommen sie zusammen mit dem Jesuskind in den Stall, der ab dem Heiligen Abend beleuchtet und angestrahlt wird. Auch der Erzengel Michael wird am Heiligen Abend auf das Stalldach gesetzt. Ab dem 30. Dezember folgen die Heiligen drei Könige dem leuchtenden Weihnachtsstern, bis sie am 6. Januar den Stall zu Bethlehem erreichen. Am 20. Januar baut Henninger die Krippe ab und verstaut sie im Kirchturm. Im Anschluss lädt Henninger seine Helfer, die beim Auf- und Abbau geholfen haben, zu einem gemütlichen Hock zu sich nach Hause ein. Bis dahin besteht noch die Möglichkeit, die Jestetter Krippe mit all ihren Figuren in ihrer vollen Schönheit zu bewundern. Die Jestetter Kirche ist jeden Tag tagsüber geöffnet.

Edmund Henningers Krippe in der Jestetter Pfarrkirche "Sankt Benedikt" zählt zu den grössten und schönsten Krippen in der Region. Seit die Heiligen drei Könige den Stall zu Bethlehem erreicht haben, präsentiert sie sich in voller Pracht. Die Jestetter Krippe kann noch bis zum 20. Januar besichtigt werden.

Die Rennbahn, ein Relikt aus der vergangenen Zeit

Schaffhauser Nachrichten, 7. Januar 2014

 

Jestetten hatte in den 30-er Jahren eine offene Rennbahn. Heute ist sie vergammelt.

 

Nur noch wenige erinnern sich an die Radrennbahn in der Au zwischen Jestetten und Neuhausen. Der 75- jährige Jestetter Radsportfan Edgar Maier hat recherchiert.

Nach der Gründung des Jestetter Radrennclubs "Staubwolke" bauten der radsportbegeisterte Walter Winkler und der Velomechaniker Ludwig Schönhammer im Jahr 1924 ein 200 Meter langes und fünf Meter breites Velodrom mit zwei drei Meter hohen Steilwandkurven. Der Löwenwirt Fritz Winkler stellte das Grundstück zur Verfügung und sorgte für die finanzielle Unterstützung. Jestetten war seit 1840 Zollausschlussgebiet und von der Schweiz frei zugänglich. Da in Jestetten weder die Infrastruktur stimmte, noch die Erfahrung fehlte, eine solche Bahn zu führen, wurde sie verpachtet. Der Winterthurer Velohändler Henry Hönes übernahm die Direktion und Vermarktung. 
Volksfeststimmung im Velodrom                                                          Am 25. Mai 1925 wurde die Bahn mit einem Schweizer Staraufgebot eröffnet. Unter den 36 Starter war auch Ludwig Merlo, ein aus Neuhausen stammender Italiener, der durch die Heirat mit einer Jestetterin später zum Lokalmatador wurde. Jedes Rennen glich einem fröhlichen Volksfest mit Budenzauber. Im Innenraum sorgten das Preisgericht und der Jestetter Musikverein für die passende Unterhaltung. Oberhalb der Neuhauser Ostkurve stand die Festwirtschaft des Löwenwirts. Beim Kassenhäuschen war die Sanitätsstation, wo der ehrwürdige Doktor Lichtenberg die Sturzopfer versorgte. Zum Eröffnungsrennen kamen 1500 Besucher, die sich auf die zwei Sitztribünen und auf den Stehplätzen um das Beton Oval verteilten. Jestetten zählte zur damaligen Zeit gerade mal knapp 1500 Einwohner. Beim zweiten Anlass waren es bereits über 2000 Menschen, die den "Jestetter Zement" besuchten. "In hellen Scharen kam das Publikum von Schaffhausen gewandert, um die Matadore von Strasse und Bahn zu sehen", schrieb damals die deutsche Lokalzeitung "Alb Bote". Mit dem Zürcher Zug kamen sogar Stammgäste der Oerlikoner Rennbahn. Für das Palmsonntagrennen hat die SBB 1928 aus Schaffhausen und Zürich Extrazüge eingesetzt. Internationale Fahrer wie der Österreicher Max Bulla, der die erste Tour de Suisse gewonnen hatte, oder Heiri Sutter, der Schweizer Steher und Strassenmeister, fuhren in Jestetten um den Sieg. In Deutschland kam der Regierungsumsturz und das Zollausschlussgebietes wurde aufgehoben. Neben der offenen Rennbahn in Oerlikon kam auch noch eine neue Rennbahn in Singen dazu. Am 16. September 1934 fand das letzte Rennen statt und der unwirtschaftlich gewordenen Rennbetrieb wurde eingestellt.                                             Bauherren mussten büssen                                                                Die beiden Jestetter Erbauer konnten die triumphale Sportstätte aus wirtschaftlichen Gründen selbst nicht mehr nutzen und mussten für die schwere Last, die sie sich kurz nach der Inflation aufbürdeten, schwer bezahlen. Kurz nach dem die Bahn in Betrieb ging, musste Ludwig Schönhammer sein 1921 errichtete Wohnhaus mit Fahrradwerkstatt verkaufen und hat sich ins Schwabenland verzogen. Walter Winkler wanderte nach Argentinien aus. Das Gasthaus Löwen wurde verkauft, Fritz Winkler zog nach Dettighofen. Tochter Frida erbte die Rennbahn, die noch von Hobbyfahrern benutzt wurde, bis der Hundeverein 1966 eine Treppe in die Ostkurve betonierte. Das Areal wurde 1999 an die Gemeinde Jestetten verkauft. Im Jahr 2009 legte Rita Metzger, eine Grossnichte von Merlo, mit den Kindergartenkindern und der Unterstützung des Gemeinde die Bahn wieder frei. Die ehemalige Kindergartenleiterin ist mittlerweile verzogen und die Bahn wuchert wieder zu. "Diese großartige Jestetter Kulturstätte sollte es doch Wert sein, dass man sie im Gedenken an die beiden mutigen Bürger für die Nachwelt erhält", betonte Edgar Maier.

 



Auf der Jestetter Rennbahn herrschte munteres Treiben. Bei der Startaufstellung bei einem der ersten Rennen ist links aussen der Neuhauser Ludwig Merlo zu erkennen, der später zum Lokalmatador wurde.

Teil der Lottstetter Geschichte abgebrannt

Südkurier, 20. April 2013

 

Bäckerei Jünger und Gasthaus Linde wurden Raub der Flammen

 

Am Freitagmorgen brannten im Lottstetter Ortskern, unmittelbar neben Rathaus und Kirche das Eckhaus mit der Bäckerei Jünger und dem Dorfgasthaus Linde ab. „Das Feuer brach in der Linde aus“, so der Einsatzleiter, Lottstettens Kommandant Thomas Kromer. Als das Feuer in der Nacht nach halb drei Uhr ausbrach, schliefen im Oberstock der Bäckerei der Bäcker Peter Jünger, seine Mutter und eine Hilfskraft.  Der 75 – jährige, gehbehinderte Seniorchef war zum Glück an diesem Tage bei zu einem stationären Aufenthalt im Krankenhaus. „Der Heinz wäre vermutlich nicht mehr rausgekommen“, meinte ein Passant. Sein Sohn Peter hörte in der Nacht ein Knallen im Haus. „Zuerst dachte ich, dass in der Bäckerei eine Rollbox umgefallen sei“. Kurz darauf gab es einen zweiten Knall und Peter Jünger bemerkte das Feuer. Er konnte die schlafenden Personen rechtzeitig in Sicherheit bringen. „Ich habe auch jemanden gesehen, der zu dieser Zeit auf der Straße gerannt ist“, hat Peter Jünger auch der Polizei mitgeteilt. „Uns ist diese Aussage bekannt, wir gehen natürlich jeder Spur nach“, so Paul Wißler, Pressesprecher der Polizeidirektion Waldshut Tiengen. Zur  Brandursache konnte Wissler keine Angeben machen. Das Gasthaus Linde ist ebenfalls voll ausgebrannt. Neben dem Gasthaus Engel ist die Linde die älteste Wirtschaft im Dorf. Sie besteht seit der Zeit, als die Lottstetter Kirche gebaut wurde, etwa um 1870. Im 19. Jahrhundert war die Wirtschaft einer Landwirtschaft angegliedert, später kam noch eine Bäckerei dazu. Das zusammengebaute Gebäude ist im Besitz der Familie Jünger. Vor ein paar Jahren hat die Familie Jünger das auf der anderen Seite der Linde angebaute Wohnhaus umgebaut. Dabei wurde auch eine Brandschutzwand eingebaut. „Wäre diese Brandschutzwand nicht gewesen, wäre es zum Inferno gekommen“, so Lottstettens Vizekommandant Bertrand Lorenz. „Es war ein einfacher Einsatz, weil wir alles richtig gemacht haben“, lobte  Kommandant Thomas Kromer seine Kameraden. Die Gastwirtschaft, die von Martin und Claudia Schwarz seit 2005 geführt wird, hat seit Montag Urlaub und es befanden sich keine Personen im Haus. Die Pächter des Gasthauses befinden sich an der Ostsee in der Heimat der Frau im Urlaub. Martin Schwarz wurde noch am Freitagmittag mit dem Flugzeug in Kloten erwartet. „Die Polizei beschlagnahmte die Gaststätte zur Spurensicherung“, so Kromer. Bürgermeister Jürgen Link ordnete die Sicherung der Brandruine an. Die Feuerwehr Lottstetten beorderte von 18 bis 6 Uhr vier Mann  zur nächtlichen Brandwache. Den drei verletzten Feuerwehrleuten geht es mittlerweile wieder gut und sie sind bereits wieder im Einsatz.


Einsatzleiter Thomas Kromer (rechts) zeiget dem Lottstetter Vizekommandanten Bertrand Lorenz, was wohl alles abgebrannt wäre, wenn beim angrenzenden Neubau keine Brandschutzwand gewesen wäre.

Jestetter Spielwarengeschäft Tröndle schliesst

Schaffhauser Nachrichten, 28. März 2012

Wenn sich zwei streiten freut sich der Dritte. Dass dies jedoch nicht immer so ist, zeigt das Beispiel des Spielwarengeschäfts Tröndle in Jestetten. Es gab Ärger zwischen Pächter und Eigentümer. Das Geschäftschliesst zum 31. März.                                                                                                                                       Lediglich der Paketdienst wird ab dem 1. April im Allmendweg 1, im Jestetter Gewerbegebiet, noch weitergeführt. „Der Eigentümer Armin Tröndle soll dieses Geschäft nicht bekommen“, schimpft der Pächter Rainer Füller,der mit dem Besitzer  seit längerem nicht mehr kann. „Wenn er das Geschäft unter meinem Namen weiter betreibt, gehe ich gerichtlich gegen ihn vor“, wettert Armin Tröndle. Der Schreibwarenhändler mit dem prädestinierten Namen Füllerübernahm 1992 das Schreib- und Spielwarengeschäft Tröndle, das sich durch die Grenznähe in einer goldenen Lage befand. Doch seither hat sichvieles gewandelt. Bis vor sechs Jahren waren die „Märklin“ Modelleisenbahnen ein gewichtiges Standbein im Geschäft. Über 90 Prozent der  Kunden kamen aus derSchweiz. Doch diese wurden immer älter und der Nachwuchs blieb aus. Viele Eisenbahnliebhaberliessen sich wohl beraten, kauften die Produkte jedoch im Versandhandel. Der Ertrag blieb aus. „Aus betriebswirtschaftlicher Sicht habe ich diese Abteilung zwei Jahre zu spät aufgegeben“, weiss Füller heute. Durch die Euroumstellung kam es schon 2002 zu Umsatzeinbussen, da sich das Preisverhältnis in den Köpfen der Schweizer Kunden gewandelt hat.Füller erweiterte sein Geschäft um einen Paketdienst, um Kunden zu halten und neue zu gewinnen. Ab 2007 kam massiver Ärger mit dem Vermieter hinzu. Als Füller das Geschäft von Paula Tröndle übernommen hatte, wurde ein 15- Jahresvertrag abgeschlossen. In der Zwischenzeit wurde das Geschäft an den Sohn Armin Tröndle übergeben. Nach Vertragsablauf, kam kein neuer mehr zustande.“ Ein vernünftiges Weiterarbeiten war fortan nicht mehr möglich - wir fühlten uns im Regen stehen gelassen“, so ein verbitterter Rainer Füller. Anfang 2011 benötigte der Eigentümer, der im Ladengebäude eine Lotto Annahmestelle betreibt, mehr Platz und wollte auf Grund von Sanierungsarbeiten die Miete erhöhen. „Die erste Mieterhöhung in den 20 Jahren“, betont Armin Tröndle. Das Ultimatum wurde gestellt.Rainer Füller ging nicht darauf ein, die Kündigung nach den gesetzlichen Bestimmungen folgte. „Die langjährigen Schweizer Kunden haben die Regale, ohne Rabatt auszuhandeln, aus Solidarität leergekauft, dafür bin ich ihnen ewig dankbar“, sagt  Füller wehmütig.Armin Tröndle will im ehemaligen Spielwarengeschäft zu der Lotto Annahmestelle ebenfalls denPaketdienst, dener seit einem Jahr in seinen Privaträumen betreibt, einrichten. „Ein weiterer Teil der Geschäftsräume soll vermietet werden“, so Armin Tröndle. Sein GrossvaterFerdinand Tröndle gründete das Schreibwarengeschäftin den 20- er Jahren  an der Schaffhauser Strasse 19, wo sich heute eine Massagepraxis befindet. Etwas später kamen ein Fotoladen  und ein Spielwarengeschäft dazu. 1953 wurde in der Schaffhauser Strasse 13 ein neues Geschäftshaus gebaut, das später der Sohn Erich mit seiner Frau Paula  führte.  Durch die Spezialisierung auf „Märklin“ Modelleisenbahnen bekam der Name Tröndle auch in der Schweiz einen  Namen. „Das Jestetter Gewerbe florierte in den 60- er Jahren derart, dass verschiedene Gewerbebetriebe im Jahr 1968 eine Ortsumfahrung ablehnten, da sie dadurch Umsatzeinbussen befürchteten“, weiss der Jestetter Pensionär Edgar Maier. Nach der Trennung von Paula und Erich Tröndle ging das Geschäft auf Paula Tröndle über, die das Geschäft bis zur Vermietung führte. Die Lottoannahmestelle, die heute ihreTochter Ursula Kaghazkananyund Sohn Armin betreuen, führte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1995. „Ich holte meine Schiefertafel und die Griffel schon beim Tröndle“, weiss Edgar Maier (74) heute noch. Er bedauert, dass in Jestetten die kleinen„Tante Emma“ Läden, bei denen man noch persönlich beraten wird, verschwinden.

Hier gingen Kinderwünsche in Erfüllung. DasJestetter Schreib- und Spielwarengeschäft Tröndle, das grösstenteils von Schweizer Kundschaft lebte, schliesst zum 1. April. Lediglich der Paketservice zieht ins Gewerbegebiet in den Allmendweg 1.

Auf dem Speicher steht ein Sarg

12. August 2011, veröffentlicht in den Schaffhauser Nachrichten

 

Auf dem Speicher der Lottstetter Valentinskirche steht ein Pestsarg, der ein Überbleibsel der Pestepidemien ist, welche die deutsche Nachbargemeinde im 17. Jahrhundert heimgesucht haben. Der
Kirchengemeinderat ist sich unschlüssig, was man damit machen soll. 
                                                                                                                   Das ungewöhnliche Relikt hat neben einer Deckelklappe auch zwei Klappen an seiner Unterseite. Indem man den Leichnam durch diese Bodenklappen ins Grab fallen ließ, konnte man den Sarg  weiter verwenden.  Während solchen Epidemien
herrschte  ein regelrechter Sargmangel. Der Lottstetter Pestsarg ist allerdings reparaturbedürftig. Die Beschläge sind verrostet, teilweise abgebrochen und fehlen. Kurioserweise hat der Fichtensarg keine Holzwürmer, obwohl der ganze Dachstuhl der Kirche vor der Renovation im Jahr 2003 vom Wurm befallen war. Den Sarg ließen die Würmer vielleicht vor Ehrfurcht in Ruhe. 500 Lottstetter Bürger sind durch diesen Sarg „gegangen“. Das Denkmalschutzamt kann nicht verstehen, dass dieses geschichtsträchtige Relikt vor sich her gammelt. Was soll man machen? „Wenn man ihn restauriert, dann kostet es Geld. Wenn man nichts macht, zerfällt er noch vollständig“, heißt es im Pfarrgemeinderat. „Da es sich bei einem Pestsarg nicht um ein prunkvolles Möbelstück handelt, werden die nötigen Maßnahmen sicherlich im Rahmen bleiben“, so Peter im Obersteg, Sachverständiger vom Schaffhauser Museum Allerheiligen.  Der Lottstetter Messner Helmut Buchter hat sich der Sache angenommen. „Das Schaffhauser Museum Allerheiligen wollte den Sarg schon einmal restaurieren, allerdings nur, wenn sie ihn hätten behalten können“, so Buchter. Im Obersteg kann sich das allerdings nicht vorstellen. „Das Schweizer Museum besitzt schon seit einer Schenkung von 1922 den Pestsarg aus Merishausen“.  Dieser ist aktuell in der Ausstellung „Schaffhausen im Fluss“ zu sehen. Für die Lottstetter Kirchengemeinde bedeutet der Pestsarg ein großes Stück Kulturgeschichte. Die einfache „Holzkiste“ ist vermutlich 382 Jahre alt. Im Jahr 1629 starben in Lottstetten 120 Einwohner an der Pest. Drei Jahre später wurde die Kirche und das Dorf von schwedischen Söldnern unter französischer Flagge eingenommen und niedergebrannt. Dabei kamen  200 Einwohner zu Tode. 90 Leichen wurden im Massengrab bei der Kirche beigesetzt. Die anderen im Wald oder auf dem Feld, wo sie gefallen waren. Durch Armut und Hungersnot kam 1635 die zweite Welle der Pest und raffte weitere 400 Einwohner dahin. Das war die halbe Gemeinde. Nach dem notdürftigen Wiederaufbau der Valentinskirche, die im Pestjahr 1635 fertig gestellt wurde, wurde auf dem rechten Seitenaltar ein großes Bild des Heiligen Sebastian angebracht. Er gilt als Schutzheiliger gegen die Pest und soll heute noch an die vielen Schicksale in Lottstetten erinnern. Genau wie der Pestsarg, der auf der „Schütti“ der Kirche langsam zerfällt.

Auf dem Dachboden der Lottstetter Valentinskirche liegt ein Pestsarg aus dem 17. Jahrhundert, der restaurierungsbedürftig ist. Messner Helmut Buchter (rechts) und Pfarrer Josef Moser haben sich der Sache angenommen.
Auf dem rechten Seitenaltar der Lottstetter Valentinskirche ist ein Bildnis des Heiligen Sebastian zu sehen. Er gilt als Schutzheiliger gegen die Pest und soll an die vielen Schicksale in Lottstetten erinnern.

Mit der Seilfähre zum Geburtstag

23. Juli 2005, veröffentlicht in Südkurier und Alb Bote

 

Die Rheinfähre Lottstetten - Ellikon feiert am kommenden Sonntag, im Rahmen eines dreitägigen Rheinfestes, den 100. Geburtstag. Der Festbetrieb beginnt ab 10 Uhr bei der Anlegestelle in Ellikon. Es findet ein Fährewettbewerb und eine Pontoniervorführung statt. Der Musikverein Lottstetten gibt ein Konzert. Genau wie damals, vor 100 Jahren. Auch dort spielte der Musikverein Lottstetten den Einweihungsmarsch. Es sollen damals schon 1000 Festgäste anwesend gewesen sein.

Während Generationen wurden Reisende mit Weidlingen vom schweizer Dorf Ellikon zum gegenüberliegenden deutschen Rheinufer auf Lottstetter Gemarkung gefahren. Der Wirt vom Gasthaus "Schiff" war meist der Fährmann. Nachdem dieses Übersetzen ohne Drahtseil als zu gefährlich angesehen wurde, entschied man sich, eine Drahtseilfähre anzuschaffen. So richtete die Gemeinde Ellikon im Januar 1903 ein Gesuch an den Regierungsrat des Kanton Zürich, er möge die technischen Vorarbeiten in Angriff nehmen. Mit der Inbetriebnahme der Seilfähre im Jahr 1905 war nun wieder der Warenverkehr mit Lottstetten und dem Rafzerfeld gewährleistet. Die Pflege der Kameradschaft mit den Menschen "ennet" dem Rhein war auf einfacherem Wege nun auch möglich.  Auch die noch junge Bahnlinie Zürich - Bülach - Schaffhausen, die 1896 eröffnet wurde, hatte positive Auswirkung auf die Seilfähre. Stand einem Elliker eine Bahnfahrt bevor, benutzte er erst die Fähre und marschierte anschliessend auf den Bahnhof Lottstetten, vermutlich ging er dann noch im  "Kranz" in Nack vorbei. Heute transportieren die Fährleute Rös und Hans Zürcher meist Wanderer, Radfahrer und Schulklassen. Die Gesamtausgaben für die erste Fähranlage beliefen sich auf 2970 Schweizer Franken. Die Fährordnung vom Juni 1905, erlassen von der kantonalen Baudirektion, verlangte vom Fährmann, dass er während den Monaten April bis September zwischen morgens 5 Uhr bis abends 9 Uhr jederzeit zur Überfahrt bereit sein soll. Vom Oktober bis März galt ein reduzierter Fahrplan. Für eine einfache Fahrt durfte er 10 Rappen oder 8 Pfennig verlangen. Heute kostet die Fahrt zwei Franken. Bei Kriegsausbruch im Jahre 1939 musste der Fährbetrieb eingestellt werden. Erst im Sommer 1946 wurde der Fährbetrieb wieder bewilligt. Es wurde auch ein neues Schiff, die "Martella", angeschafft, da das alte während der Stillegung arg gelitten hatte und unbrauchbar wurde. Seither verkehrt die Fähre wieder zwischen beiden Ufern. Ende 1979 wurde die "Rüedifaar", das heute noch in Betrieb stehende Fährboot, zu Wasser gelassen. Die Funktionsweise der Drahtseilfähre ist recht einfach. Das Boot ist durch Seil und Rolle mit dem, über den Rhein gespannten Drahtseil verbunden. Durch Schrägstellen des Bootes gelangt es, nur von der Strömung angetrieben und unter korrigierenden Ruderschlägen des Fährmanns, vom einem zum anderen Ufer.

Infokasten: Die Rheinfähre "Rüedifahr" verbindet die Schweizer Gemeinde Ellikon mit der "Uferwiese Giesse", auf Lottstetter Gemarkung. Die Fähre kann zwanzig Personen aufnehmen und wird von Rös und Hans Zürcher gefahren. Eine Überfahrt kostet zwei Franken.

 

 

"Rüdifahr", die Fähre verbindet Lottstetten mit der Schweizer Nachbargemeinde Ellikon

Lauf einen Marathon, und Du läufst in ein neues Leben

07.04.2005 -  veröffentlicht im Südkurier und Alb Bote

 

Am Sonntag, 3. April starteten der Lottstetter Thomas Güntert und Roland Schmid aus Altenburg zum Abenteuer Marathon. Um 8.30 Uhr standen die beiden bei herrlichem Frühsommerwetter am Start des Dritten Züricher Stadtmarathons. Dies genau wie weitere  7300 Laufverrückte aus 48 Ländern, die 42,195 Kilometer im Laufschritt bewältigen wollten. Bis es soweit war, war ein hartes Vorbereitungstraining von Nöten. Nach einem speziellen zehnwöchigen Intensivtrainingsplan spulte man zwischen 400 und 500 km herunter. Wöchentlich vier Trainingseinheiten bei den zum Teil winterlichen Verhältnissen der letzten drei Monaten. Kilometer für Kilometer bei klirrender Kälte, Tempoläufe, Intervalltraining und lange Läufe bis zu 30 Kilometer. Und dies teils in den dunklen Abendstunden und bei Schnee und Eis. Ein Sturz auf glatter Strasse brachte Thomas Güntert dazu noch eine längere Trainingspause ein. Nach all den Strapazen stand man dann am Sonntag am Start in Zürich. Für den 42-jährigen Thomas Güntert, war es sein vierter Marathon. Er betreibt das Laufen zum Ausgleich des Alltages und für die körperliche und geistige Fitness. Sein Ziel: seine persönliche Bestmarke von 3:43 Stunden zu unterbieten und etwas davon träumen, einmal unter 3:30 Stunden zu laufen. Für Roland Schmid war es sein erster Marathon, und dies mit 52 Jahren. Er wurde durch seinen zehn Jahre jüngeren Laufkameraden mit dem  Laufvirus infiziert. Sein Ziel: ankommen!  Dann ging es los auf die endlose Reise durch das  grosse Wechselbad der Gefühle: "Der Lauf in ein neues Leben", wie es die Lauflegende Emil Zatopek einmal beschrieben hatte, konnte beginnen. Zu Beginn führte die Strecke entlang der sehr ruhigen "Goldküste" des Zürichsees bis nach Meilen und wieder zurück nach Zürich. Zahlreiche Musikkapellen und unzählbar viele Zuschauer säumten die Strecke und erzeugten eine einmalige Atmosphäre. Ab Kilometer dreissig, man war wieder in der Zwinglistadt, setzt die Fettverbrennung des Läufers ein. Und meist kommt dann irgendwann der berühmte "Hammermann".  Die Strecke führte vorbei an den alten Gebäuden Zürichs, durch die berühmte Bahnhofstrasse. Unzählige Kehren durch die engen Gassen. Doch das alles interessierte den Läufer nicht mehr. Spätestens ab Kilometer fünfunddreissig war es nur noch eine Schinderei. Die letzten Kilometer, ein einziger Steigerungslauf bis ins Ziel, ziehten sich dann ins Endlose. Dann war er endlich da, der gelbe Zielbogen und es kam ein unheimlich gutes Gefühl auf. All die Schinderei war auf einmal vergessen. Man hatte es geschafft! Für Thomas Güntert ging ein Traum in Erfüllung. Seine Laufzeit: 3 Stunden 29 Minuten und 47 Sekunden. Völlig erschöpft die ersten Worte von Thomas Güntert im Ziel:" du fragst Dich auf der Strecke so oft nach dem Warum, doch die Antwort bekommst Du erst im Ziel. Roland Schmid lief nach 4 Stunden 24 Minuten über die Ziellinie und war überglücklich über seinen ersten Marathon. "Ein unsagbares Gefühl, auf den letzten Metern hatte ich Tränen in den Augen", so sein  Kommentar nach dem Rennen. Einige Stunden später in geselliger Runde im heimischen Dorfkrug  war man sich dann wieder einig: im nächsten Jahr  starten die beiden in Mainz beim Gutenbergmarathon und es breitet sich schon ein bischen Vorfreude aus. Und dies von  Stunde zu Stunde mehr.

Die erfolgreichen Teilnehmer von links: Thomas Güntert, Jens Thösen, Roland Schmid und Karsten Goergen.